„Wenn Leute gaffen, grinse ich erst recht.“ // Das Leben als Rockabilly
Geht Sophia mit
ihrem Hund Chico auf die Straße, dann fällt sie auf. Die Haare
unter einem Turban, den American Staffordshire Terrier an der Leine.
Seit sieben Jahren wandelt sie im Petticoat durchs Leben. Warum der
50's Stil für sie mehr ist als nur Kleidung, das hat sie mir im
Interview erzählt.
Sophia, wie lange stehst du vorm Spiegel?
Du trägst nicht nur gerne Kleider im Stil der 50er Jahre, dein ganzes Leben dreht sich momentan darum.
Genau, ich arbeite in unserem Laden
„Lucky Lola“ in Gütersloh im Kundenservice und dem Online
Verkauf. Ab und zu model ich für den Online-Shop oder auch als Hobby
neben der Arbeit.
Wie bist du auf den Laden gekommen?
Mit 16 Jahren habe
ich einen Fotoshooting-Gutschein geschenkt bekommen für „Lucky
Lola's“ Online-Shop. Zu dem Zeitpunkt habe ich gerade erst
angefangen, die Rockabilly-Szene für mich zu entdecken. Das fing an
mit Rockmusik aus den 50er Jahren. Dass ich die Klamotten auch geil
finden würde, wusste ich da noch gar nicht. Beim Fotoshooting war
ich auch noch richtig schüchtern und verklemmt, ganz furchtbar
(lacht). Meine jetzige Chefin hat mich daraufhin gefragt, ob ich
neben der Schule nicht im Laden arbeiten möchte. Eigentlich
schlitter ich da jetzt schon seit sieben Jahren einfach so rein.
Was ist an dem Stil der 50er Jahre
für dich das Reizende?
Die Kleidung finde
ich schön, weil sie so fraulich ist. Viele Frauen verstecken sich
viel zu sehr. Das finde ich so schade. Sie haben immer Bedenken, dass
50's-Kleider auftragen würden. Dabei werden sie nur an der Taille
enger und betonen den schmalsten Punkt des Körpers. Wir haben auch
Kundinnen, die vollkommen hilflos in den Laden kommen, weil sie
vorher nichts für ihre Größe gefunden haben. Am meisten freue ich
mich aber über Frauen, die erst nur als Begleitung ihrer Freundin
mitgekommen sind und meinen, für ihre Größe gäbe es nichts. Dann
sage ich immer „Aber sowas von!“. Umso schöner ist es dann zu
sehen, wenn sie plötzlich erkennen, dass sie eine Taille haben oder
ihre Oberweite gut zur Geltung kommt. Rockabilly verändert
tatsächlich die eigene Wahrnehmung. Man fühlt sich weiblicher. Ich
finde jeder sollte sich wohlfühlen dürfen. Aber ich finde auch,
jeder sollte etwas machen, wenn er sich nicht wohlfühlt.
Ist im Zeitalter von #MeToo der
aufreizende Pin-Up Stil schwieriger zu vertreten?
Es gibt eigentlich
seit einiger Zeit einen Trend in zwei Richtungen. Auf der einen Seite
meinen Mädchen, sie müssten sich abmagern und runterhungern. Und
auf der anderen Seite sind plötzlich dicke Ärsche im Trend.
Plötzlich hat jeder einen dicken Arsch! (lacht) In beiden Fällen
wird dir ja von der Masse ein Trend vorgegeben, wie du zu sein hast.
Ich persönlich finde das einfach alles total bescheurt. Im Endeffekt
ist jeder so wie er ist und braucht sich nicht dafür zu verstecken.
Man sollte sich nie verstecken und lieber selbstbewusst sein, egal zu
welcher Zeit und welchem Trend.
Wenn dicke Ärsche im Trend sind,
ist das dann nicht gut?
Das kommt darauf
an, wie ernst es gemeint wird. Sogar in Formaten wie „Germanys next
Topmodel“ sieht man eine Entwicklung hin zu Kurven. Aber eigentlich
auch nur, weil Kurven gerade angesagt sind. Und dann finde ich es
einfach nur lächerlich. In den 50er Jahren hatte man ein anderes
Frauenbild. Marily Monroe zum Beispiel trug auch Konfektionsgröße
40 und man bewunderte sie. Dass manche Menschen sich heutzutage so
sehr interessieren für den Körper der Anderen, finde ich ganz
schlimm.
In den letzten Jahren war mit
Leoprint und Highwaist Hosen der 50's Stil im Trend. Findest du es
gut, dass die Kleidung mainstream wird?
Ich finde es gut,
wenn der Trend es gebracht hat, dass manche ihre
Hüftquetsch-Muffinhose gegen eine High Waist eintauschen. Das finde
ich figürlich einfach vorteilhafter. Aber wie gesagt, es ist nur ein
Trend. Vor 10 Jahren wollte noch jeder den Tanga sehen. Das kommt und
geht.
In den 50er Jahren haben die jungen
Leute gegen die Alten rebelliert. Tut man das mit diesem Stil heute
noch genau so?
Auf eine gewisse
Art und Weise schon. Du entsprichst ja nicht der Masse, sondern hebst
dich ab. Das finde ich persönlich mega wichtig, weil man erst
dadurch so viel Selbstbewusstsein bekommt, wenn man erst einmal
gelernt hat, auf die Meinung der anderen zu scheißen. Ich wollte mit
14 unbedingt ein Lippenpiercing haben. Keiner hat es mir erlaubt, bis
ich es mir dann halt selbst gestochen habe. Bei einer Freundin in
ihren Zimmer vor einem Spiegel, der aussah wie eine Wolke. Und bis
vor Kurzem hatten wir beide das auch noch drin. Das ist jetzt ein
extremes Beispiel. Aber immer, wenn man aus der Masse rausstichst,
ist das ja schon automatisch eine Art Rebellion. Einen Punk mit
Irokesen, den würde jeder angucken und etwas über ihn denken. Und
solche auffälligen Leute werden immer weniger. Wenn du mal auf den
Schulen rumguckst gibt es wenig Kinder, die wirklich rausstechen.
Was meinst du woher das kommt?
Die trauen sich
nicht und haben auch kein Interesse daran aufzufallen. Und es gibt ja
auch keinen Grund mehr zu rebellieren. Die haben alle ihren Fernseher
im Zimmer, ihre Playstation und ihr Handy. Die wollen dazugehören,
aus Angst aufzufallen und schief angeguckt zu werden.
Wirst du manchmal im Alltag von der
Seite angeguckt, wenn du einkaufen oder zur Bank gehst?
Ja, eigentlich
immer. Ob man jetzt schlecht gefunden wird oder gut ist immer
unterschiedlich. Letztens war ich in einem Petticoat nur schnell
tanken und die Tankwartin hat mich gefragt, was ich denn heute noch
Tolles vorhätte. Da meinte ich, ich gehe gleich auf mein Sofa und
vielleicht schiebe ich mir auch noch eine Tiefkühlpizza in den Ofen.
Es kommen auch viele auf mich zu und fragen, woher man solche
Kleidung bekommt. Und diejenigen, die es scheiße finden, sagen meist
nichts zu mir, weil sie keine Eier haben. Die Leute nehme ich auch
gar nicht wahr.
Hast du es mal wahrgenommen?
Auf jeden Fall!
Früher als Punk bin ich ja auch schon sehr aufgefallen und als
Teenager ist man noch sensibler für Kritik. Aber irgendwann habe ich
dann angefangen die Klamotten auch täglich in der Schule zu tragen
und dann wurde es für mich und mein Umfeld normal. Man muss sich
anfangs ja schon überwinden, das zu machen. Aber danach fühlt man
sich einfach nur gut. Ich fühle mich tatsächlich meist eher
komisch, wenn ich mich nicht so anziehe.
Glaubst du, man muss erst ein paar
Extreme ausprobieren, bis man dann an einem Stil hängen bleibt?
Ich glaube schon,
dass Geschmack sich verändert. Aber ich höre auch immer
noch die Musik, die ich schon mit 13 Jahren mochte. Ich mag auch
immer noch Metal und Totenköpfe. Im Rockabilly gibt es verschiedene
Szenen, wie den Psychobilly oder Gothabilly. True Vintage sind dann Leute, die nur originale Kleidung aus der jeweiligen Epoche
tragen. Für die würden auch Tattoos und Piercings nicht in Frage
kommen. Ich fixiere mich aber nicht nur auf eine Schiene, sondern ich
mixe gerne Einflüsse. Da ist noch viel von meinem Stil von früher
drin, nur eben schicker und eleganter.
Rutscht man durch die Kleidung
automatisch in diese Szenetreffen?
Ab und zu gehe ich
schon gerne zu Autotreffen, gerade im Sommer. In Kaunitz sind wir
dieses Jahr mit einem Stand von „Lucky Lola“ vertreten. Aber ich
sehe das nicht so verbissen wie manch anderer. Ich habe schon einmal
über den Stil ein Video gedreht, das dann in einer Rockabilly-Gruppe
im Internet geteilt wurde. Da gab es ganz extreme Reaktionen, von
wegen „Nur weil man sich so anzieht, gehört man noch lange nicht
dazu“ oder „So kannst du die Kleidung doch nicht kombinieren“. Kann
ich, siehst du doch oder? Für deren Welt mache ich das dann nicht
richtig. Dabei sollte doch jeder das machen, was für ihn persönlich
richtig ist.
Wie viel Historie steckt noch in
dieser Szene?
Das ist ganz
unterschiedlich. Wenn du den True Vintage Stil verfolgst, wird
historisches schon genauer genommen. Es gibt manche Paare, die diese typische Rollenverteilung –
die Frau kocht, der Mann arbeitet - gut finden. Manche dagegen nehme
dieses rebellische Rockybilly wie im Film „Cry Baby“ ernster. Die
adaptieren schon viel Geschichte in ihr aktuelles Leben.
Heißt in einer Szene zu sein auch
unter sich zu bleiben?
Es gibt schon einige, die in Gruppen diese typischen Veranstaltungen
wie Autotreffen zusammen machen. Aber ansonsten heißt es das nicht.
In den seltensten Fällen interessiert sich der Partner für die
selbe Szene. Mein Freund hört zum Beispiel lieber Hip Hop.
Hast du Vorbilder aus der 50's
Richtung?
Wen ich schon immer
wunderschön und toll fand ist Dita van Teese, weil sie so elegant
und immer perfekt aussieht. So richtig auf sie aufmerksam geworden
bin ich erst durch die Musik von Marilyn Manson. Ich finde es super
schön, wenn jemand täglich so schick ist und hohe Schuhe trägt.
Aber ich selber könnte das nicht. Da tun mir die Füße zu sehr weh.
(lacht) Ich trage lieber Chucks zu meinen Kleidern.
Frierst du viel in deinen Kleidern?
Ne, gar nicht! Ich
trage im Winter Thermostrumpfhosen, ganz wichtig. Und diese
Radlerhosen zum drüberziehen sind auch ganz praktisch.
Was hat es mit den Bullterriern auf sich?
Das ist eine Spendenaktion unseres Ladens für eine Kollegin, die ihr Leben diesen Tieren gewidmet hat. Hunderassen wie diese werden von der Gesellschaft stark verpönt. Wir finden es Schwachsinn solche Rassen abzustoßen. Unser Ladenhund Lola gehört auch dazu.
Mit so einem vorurteilbehafteten Hund und den Kleidern fällst du natürlich auch doppelt auf oder?
Ja das stimmt. Aber das Bild gefällt mir ehrlich gesagt auch gut. Da geht ein Kampfhund durch die Gegend und neben ihm ein Mädchen im Kleidchen. Ich finde Angst oder Respekt vor Hunden überhaupt nicht schlimm, aber seine Angst dann auf die Rasse zu reduzieren, finde ich falsch.
Wie reagierst du auf Gaffer?
Ich bin dann meistens noch netter, weil es ihnen nicht gefallen würde. Da grinse ich erst recht.
Was bedeutet #Be a lucky Lola?
Sei einfach
glücklich wie du bist! Dass du nicht einem gesellschaftlichen
Standard entsprechen musst, um dich schön zu fühlen.
Hier geht es zum Online-Shop von Lucky Lola!
Kommentare