"Zu dünne Ballerinas finde ich schrecklich" // Als Tanzlehrerin an der Uni
Das Tanzen ist
Jennifer Bergs' Leidenschaft. Dass sie sogar einmal selbst
unterrichtet, hätte die damalige Jurastudentin bis vor fünf Jahren nie
gedacht. Jetzt macht sie sich selbstständig und eröffnet ein
Tanzzentrum für Ballett, Jazz Dance und tanzpädagogische Ausbildung
in Bielefeld. Mir hat Jennifer erzählt, wie Ballett ein ganzes Leben
prägen kann.
Sind Ballerinas stille Mäußchen?
Man
muss als Ballerina seine Meinung schon mal für sich behalten können,
damit man sich nicht mit dem Choreografen anlegt. Aber ansonsten
braucht man definitiv Charakter. Du musst als Tänzer ja verschiedene
Facetten zeigen können und in Rollen schlüpfen. Man kann nicht
immer nur der weiße Schwan sein. Man ist auch mal der schwarze Schwan.
Und wenn man keine Rampensau ist, wird man sich auf der Bühne
auch nicht wohlfühlen. Deshalb sind die meisten Tänzer ganz
bestimmt keine stillen Mäußchen.
Vermisst du die Bühne?
Ja. Ich kann es mir
ohne auf der Bühne zu sein gar nicht vorstellen, weil es eine ganz
eigene Energie ist. Wenn ich mit meinen Gruppen Aufführungen mache,
achte ich aber immer darauf, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Ich
finde es gibt nichts schlimmeres als Lehrer, die ihren Schülern die
Show stehlen. Aber ich tanze zusätzlich noch in einem eigenen
Ensemble, wo ich mich als Tänzer entfalten kann.
Wann hast du das Tanzen angefangen?
Mit Ballettanz habe ich schon mit 6
Jahren angefangen. Es gibt natürlich auch Kinder, die fangen noch
viel früher an. Aber wenn man ganz ehrlich ist, ist das kein
Ballett. Ich wollte eigentlich schon immer tanzen. Und dann lief im
Fernsehen so eine 80er Jahre Tanzserie, ganz peinlich (lacht). Die
hieß „Anna“. Und dann wollte ich unbedingt zum Ballett. Während
des Grundstudiums hatte ich eine Pause vom Tanzen. Aber ich habe
gemerkt, dass mir einfach etwas fehlt. Und dann bin ich doch wieder
zurück und bin für immer drangeblieben. Grundsätzlich gelernt habe
ich Ballett, Jazz Dance, Modern, Stepptanz, Flamenco und Musical
Dance.
Du sagst dir hätte etwas gefehlt.
Was genau war das?
Ich finde Tanzen ist mehr als nur ein
Hobby. Das ist eine Leidenschaft. Das kann man auch nur verstehen,
wenn man selber tanzt. Es ist mehr als einfach nur Laufen gehen. Tanz
ist für die Seele, gerade durch die Musik. Und ich mag auch die
Gemeinschaft in den Gruppen und den künstlerischen Aspekt sehr
gerne, der zum bloßen Sport im Tanzen noch dazukommt. Aber Sport ist
das Tanzen eben auch. Am meisten hasse ich es, wenn die Leute der
Meinung sind, dass Ballett kein Sport sei. Das stimmt einfach nicht.
Ist Ballett ein Leistungssport?
Auf jeden Fall. In
meiner ganz aktiven Phase habe ich jeden Tag mehrere Stunden
trainiert und auch mit offenen Wunden an den Füßen getanzt. Wenn
man es beruflich machen will, ist es sogar ein krasser
Leistungssport.
Ignoriert man irgendwann Schmerzen?
Im
Training selber hatte ich eher selten Verletzungen, weil man ja auch
mit der Zeit an den Füßen Hornhaut entwickelt. Aber bei einer
Aufführung, die über drei Tage am Stück ging, hatte ich am zweiten
Tag einen ganz aufgescheurten Fuß, so dass man richtig aufs rohe
Fleisch gucken konnte. Das war die Hölle. Aber auf der Bühne
war der Schmerz dann erträglich. Ansonsten hat man als Tänzerin
nicht immer offene wunde Füße. Das wird im Fernsehen gerne mal
übertrieben.
Warum unterrichtest du lieber an der
Uni und nicht an einer Tanzschule?
Ich habe einige Zeit in einer
Ballettschule unterrichtet aber habe gemerkt, dass es mir nicht so
viel Spaß macht wie in der Uni. Ich mag das total gerne, dass die
Leute kommen um einfach Spaß zu haben. Natürlich wollen die auch
weiterkommen und etwas lernen, aber sie sind nicht so verbissen. Die
haben nicht die Ambition Tänzer zu werden und sind dadurch eben
entsprechend locker. Die Leute kommen nicht um zu zeigen wie toll sie
sind, sondern um sich zu bewegen. In Ballettschulen ist der
Leistungsdruck höher.
Woher kommt dieser enorme
Leistungsdruck?
Ich denke das liegt ganz viel am Alter.
Wenn Teenies beim Ballett bleiben, dann häufig um etwas zu
erreichen. Da sind schon einige, die professionelle Tänzer werden
wollen und aufgrund ihres Alters das Problem haben, sich mit anderen
vergleichen zu müssen. Und dadurch ist die Stimmung einfach anders.
Dazu gehört natürlich auch der Druck, wenn man Aufführungen mit
der Ballettschule machen will, dass ein anderer Anspruch an
Professionalität gilt. Wer da nicht zu den Proben kommt, darf auch
nicht mitmachen. Ich mag es eigentlich gerne, wenn meine Schüler
schon erwachsen sind. Da kann ich einfach mehr ich selber sein und
muss nicht so viel überlegen, was ich sagen darf und was nicht.
Gerade bei Teenagern muss man da immer vorsichtig sein.
Ist das Bild der großen dürren
Ballerina ein Trugbild?
Wenn man klassische
Ballerina werden will, muss man schon dünn sein. Sonst wird man in
keiner Kompanie genommen. Ich finde das ganz schrecklich. Das war
auch für mich ein Grund, warum ich nicht hauptberuflich tanzen
wollte, obwohl ich mal die Möglichkeit dazu hatte. Aber das bedeutet
auch ein Leben mit Restriktionen,
die nicht gesund sind. Moderne Kompanien sind durchaus etwas freier
und haben auch normalgewichtige Tänzer. Aber gerade im Ausland ist
es schon extrem, wie man einem gewissen Typus entsprechen muss. Ich
finde, es macht auch nichts für die Ästhetik dünn zu sein. Aber da
haben Andere anscheinend ein anderes Idealbild.
Wie realistisch ist „Black Swan“?
Ich fand es ein
bisschen schade, dass sehr wenig Tanz gezeigt wurde. Da mag ich Filme
wie „Center Stage“ einfach lieber, wo die Darsteller auch
wirkliche Tänzer sind. Die Psychostory war natürlich absolut
überzogen, aber ich fand sie tatsächlich ganz passend. In
klassischen Kompanien herrscht schon ein krasser Leistungsdruck. Dass
die Leute da durchdrehen ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Deshalb
empfehle ich es keinem hauptberuflich Tänzer zu sein. Man kann
unmöglich davon leben, ab einem gewissen Alter ist dein Körper
verbraucht und man muss sich ständig anderen unterordnen, egal wie
alt man ist.
Warum sind so
wenige Männer beim Ballett?
Ich habe wirklich
nur einen Mann, der regelmäßig bei mir trainiert. Das finde ich
sehr schade, weil es viele Männer gibt, die ganz wundervoll tanzen
können. Aber natürlich existiert dieses Bild in der Gesellschaft,
dass ein Mann, der Ballett tanzt nur schwul sein kann. Und im
Fernsehen sieht man die Männer auch immer nur in engen Strumpfhosen.
Dass man auch in weiten schwarzen Hosen und nicht im rosa Rock
trainieren kann, wissen einfach die Wenigsten. Aber man kann auch
beim Tanzen männlich sein.
Warum tanzen Männer nicht auf
Spitze?
Vielleicht wegen
des Klischees, dass Frauen immer zart sein müssen. Dann wird man auf
Spitze auch noch ein Stück größer. Das könnte für einige auf der
Bühne unstimmig aussehen. Eigentlich verstehe ich gar nicht, warum
das nicht mehr gemacht wird. Es ist ja auch ein Training der Fuß-
und Beinmuskulatur.
Ist Ballett durch das ständige
Dehnen ungesund?
Da gibt es
natürlich die unterschiedlichsten Philosophien. Grundsätzlich bin
ich der Meinung, dass Ballett nicht schädlich für den Körper ist,
wenn man bei dem richtigen Pädagogen ist, der genau darauf achtet.
Es gibt aber auch Schulen, die schon mit 8 oder 10 Jahren mit
Spitzentanz anfangen. Das geht gar nicht. Es ist eigentlich Aufgabe
des Pädagogen darauf zu achten, ob man den richtigen Körper dafür
hat. Damit meine ich gar nicht die Figur, die spielt gar keine Rolle.
Aber man muss ausgeprägte Muskeln haben und seinen Körper gut
kennen. Genau so ist es beim Dehnen. Man sollte kein Kind verfrüht
in den Spagat zwingen. Das macht auch den guten Tänzer nicht aus.
Hast du viel von deiner eigenen
Ballettlehrerin adaptiert?
Meine
Lehrerin aus meiner Heimatstadt hat mich ganz stark geprägt. Das ist
mir besonders aufgefallen, wenn ich mal in anderen Städten trainiert
habe, dass die Lehrer ganz anders drauf waren. Man glaubt gar nicht
wie viel dich ein Pädagoge prägt. Das ist eine Vertrauensperson und
ein Vorbild. Viele haben in ihrer Kindheit den Bezug zur Lehrerin
auch wirklich gebraucht. Denen fehlt eine Person, an der sie sich
orientieren können und die dir Werte vermittelt. Das macht Ballett
schon ganz stark.
Prägt dich Ballett wirklich für's
Leben?
Ich glaube mein Jurastudium habe ich
deshalb so gut durchgezogen, weil ich Disziplin gewohnt bin. Ballett
ist viel Erziehung, wenn du früh anfängst. Ansonsten ist es einfach
super für den Körper. Man baut Muskelkraft und ein gewisses Maß an
Beweglichkeit auf. Und man schult auch seinen Kopf, indem man sich
Bewegungsabläufe einprägt. Man arbeitet körperlich und geistig.
Und dadurch, dass es mit schöner Musik hinterlegt ist, ist Ballett
einfach für die Seele. Tanzen hat
mir auf jeden Fall geholfen, Selbstbewusstsein aufzubauen. Ich hatte
später nie Angst vor Referaten. Auch meine Examensprüfung empfand
ich als nicht so schlimm. Letztens habe ich einen Fitnesskurs vor 300
Leuten vertreten und alle haben mich immer gefragt, ob ich nicht
aufgeregt sei. Aber wenn man schon mal auf der Bühne gestanden hat,
ist alles andere einfach Kleinkram dagegen.
Was waren deine liebsten Rollen, in
die du bisher geschlüpft bist?
Die Kitri in Don Quixote, und die Swanilda in Coppelia. Swanilda ist
eine Verlobte und ihr Verlobter verliebt sich in eine andere. Da fand
ich wahnsinnig spannend diese Alltagsgefühle wie Trauer und
Eifersucht zu vertanzen. Und bei Don Quixote fand ich es toll, mal
die rassige Spanierin sein zu dürfen.
Was macht Applaus mit einem?
Sehr viel. Dieses
Gefühl sich nach so einem Solo zu verbeugen und die Leute applaudieren
und stehen sogar auf, das ist einfach ein wahnsinniger Höhenflug.
Orientierst du dich bei deinen
eigenen Choreografien an Anderen?
80
Prozent meiner Tänze sind rein von mir. Ich nehme aber auch schon
mal Workshops zum Anlass etwas zu übernehmen oder zu erweitern. Und
das mache ich nicht deshalb, weil ich selbst keine Ideen mehr habe,
sondern weil ich nicht möchte, dass die Leute, die nur bei mir
Unterricht haben immer den gleichen Stil tanzen müssen. Ob man will
oder nicht, man hat selbst einfach seine favorisierten Bewegungen und
seinen Stil. Und deswegen ist es schön, wenn man von anderen
Kollegen ein paar Impulse aufnimmt.
Was ist besser: Die Royal Academy
aus England oder das russische Ballett?
Es hat beides Vor-
und Nachteile und kommt viel auf den Lehrer an. Das System aus
England ist gut durchdacht. Man schließt Prüfungen Grad für Grad
ab und steigert sich nach seinem Können. Beim russischen Ballett
geht es nach Alter. Ich halte es nicht so zielführend, dass
unerfahrenere Kinder mit geübteren zusammen tanzen, nur weil sie
gleich alt sind. Es gibt auch ganz tolle russische Schulen, aber wenn
ich mich entscheiden müsste, wäre es für das englische System. Ich
habe selbst eine Gruppe an der Uni, die Prüfungen abschließt.
Du machst deinen Unterricht gerne
mit aktueller Musik. Möchtest du Ballett etwas moderner machen?
Ja und nein. Ich
nutze gerne moderne Musik, weil sie mehr Leute anspricht und versuche
immer einen Mix aus aktueller Musik, klassischer Klaviermusik und Musicals zu
finden. Aber wer wirklich am klassischen Ballett hängt und ein altes
Lied aus Don Quixote hört, dem geht einfach das Herz auf. Und so
sollte es auch bleiben.
Informationen zum Kurs- und Ausbildungsprogramm des neuen Tanzzentrums NRW gibt es hier.
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