"Mitleid ist nicht nötig" // Als Teenager im Rollstuhl
Kai ist 16 Jahre
alt und sitzt im Rollstuhl. Nachdem ihm im Alter von zwei Jahren ein
Tumor aus dem Rücken operiert wurde, ist er querschnittsgelähmt.
Über sein Leben im Rollstuhl erzählt Kai ganz offen. Bereits Kika
Live, die ARD, Sat1 Nachrichten und lokale Zeitungen haben über
seine Leidenschaft, den Rollstuhlsport, berichtet. Was ihn dazu
antreibt, das erzählt er mir im Interview.
Wie oft fragen dich Leute ob sie dir
helfen können?
Für mich zu oft, beziehungsweise
manchmal an unpassenden Stellen. Es ist mega cool, dass viele Leute
offen sind und mir Hilfe anbieten. Oftmals ist es aber bei Sachen, wo
ich weiß ich könnte das alleine ohne Probleme, und selten bei
Sachen, wo ich eine helfende Hand gut gebrauchen könnte. Aber
eigentlich möchte ich das auf gar keinen Fall kritisieren. Es wird
zum Glück genug gefragt.
Wie oft fragst du selbst nach Hilfe
oder lässt es vielleicht aus Unsicherheit auch wieder?
Mittlerweile weiß ich einfach in
Alltagssituationen, die ich regelmäßig habe, was ich selbst kann
und was nicht. Dann frage ich schon zwei Stationen vorher ob mir
jemand später beim Aussteigen helfen könnte, weil ich am
Bielefelder Hauptbahnhof aus dem RB 2 alleine nicht rauskomme. Dass
ich mich nicht traue nach Hilfe zu fragen kenne ich eigentlich nicht.
Ich glaube irgendwann muss man sich mit der Situation abfinden und
einfach fragen. Im Supermarkt zum Beispiel komme ich auch nicht
allein an alles dran. Und Leute sagen wirklich selten nein.
Du bist als Kind in den Rollstuhl
gekommen. Kannst du dich noch an Zeiten erinnern, in denen du laufen
konntest?
Gar nicht.
Findest du das manchmal schade?
Denkst du darüber noch nach?
Eigentlich bin ich froh, dass ich es
nicht mehr weiß, weil ich dann auch nicht mehr weiß, wie sich
Laufen anfühlt und sonst vielleicht etwas vermissen würde. Aber
eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen, laufen zu können.
Manchmal werde ich gefragt: Wie fühlt es sich an nicht die Beine
bewegen zu können? Da frage ich dann zurück: Wie fühlt es sich an
zu laufen? Da gucken die mich dann auch an wie ein Auto. Man kann so
etwas einfach nicht beschreiben. Ich kenne es nicht, und ich vermisse
es auch nicht.
Wie oft kommt es vor, dass du für
andere Verständnisse zu frech reagierst weil sie dir Mitleid zeigen
wollen?
Mitleid gibt es viel und das ist immer
ganz schwer. Die einen fragen, was denn mit mir passiert ist und dann
erzähle ich kurz meine Geschichte. Und als Reaktion bekomme ich dann
ein „Gute Besserung“. Die können ja nicht wissen, dass ich nie
wieder laufen kann. Aber ich sehe ehrlich gesagt keinen Bedarf an
Mitleid. Es gibt Menschen mit Krankheiten, die wirklich ganz andere
Schäden verursachen. Ich kann ein ganz normales Leben führen. Ich
habe nur diese Einschränkung, dass ich nicht laufen kann.
Du bist jetzt 16 und denkst
vielleicht auch über deine berufliche Zukunft nach. Wie viel
definierst du dich heute als du und wie viel als Rollstuhlfahrer?
Es ist definitiv ein Punkt, dass man
seine Behinderung bei der Berufswahl mit berücksichtigen muss. Ich
habe diese Einschränkung, ich werde nicht Gabelstapler fahren und ich werde
kein Dackdecker sein. Ich muss bedenken, dass ich häufig auch
ausbleiben werde wegen einer Blasenentzündung oder
Krankenhausaufenthalten. Daran denkt man schon ein bisschen. Aber ich
orientiere mich da eigentlich mehr an meinen Interessen als dass ich
überlege, ob das mit einem Rollstuhl auch funktioniert.
Möchtest du anderen damit auch
etwas beweisen, wenn du als Rollstuhlfahrer ein Ziel erreicht hast?
Definitv. Ich finde es ganz wichtig das
Thema Behinderung ein bisschen lockerer darzustellen. Manche sehen
auch nur den Rollstuhl und denken „Ach das arme Kind“. Ich hatte
eine ähnliche Kindheit wie alle anderen, nur dass ich nicht Fußball
gespielt, sondern mit einem Ball geworfen habe. Und man darf ruhig
Witze über Rollstuhlfahrer machen. Das ist unglaublich wie in meiner
Klasse kein Blatt vor den Mund genommen wird. Manche halten sich
lieber zurück oder entschuldigen sich hinterher, dabei macht mir das
gar nichts. Ich weiß ich bin nicht behindert, ich bin körperlich
eingeschränkt. Und ein Farbiger kann auch nichts dafür, dass er
farbig ist und trotzdem werden Witze über ihn gemacht. Ich sitze im
Rollstuhl, darüber kann genau so ein Witz gemacht werden wie über
anderes.
Glaubst du die Leute werden momentan
auch lockerer oder musst du sie noch wachrütteln?
Das ist sehr altersabhängig. Junge
Erwachsene sind da schon lockerer. Die merken, man kann uns
ansprechen, wir reagieren locker und wir sind normale Menschen.
Jugendliche sind da noch zurückhaltender, weil sie nicht so viel
Erfahrung mit Rollstuhlfahrern gemacht haben, denke ich.
Du hast ja Chris Tall schon einmal
persönlich kennengelernt. Wie ist das abgelaufen?
Ich war schon bei beiden seiner
Programme im Publikum und zuletzt in einer kleineren Location in
einem Bielefelder Restaurant. Und in beiden Programmen stand die
gleiche Botschaft: Macht Witze über alle. Ich war an dem Abend der
einzige Rollstuhlfahrer. Als er über Sport gesprochen und in die
Runde gefragt hat, wer von uns denn in der Freizeit joggt, hab ich
mich dann mal zum Spaß gemeldet. Das wurden 5 Minuten in seinem
Programm wie er sich vorstellt, dass ein Rollstuhlfahrer den Berg
runterrollt und Joggbewegungen mit den Armen macht. Und hinterher kam
er noch einmal zu mir, wir haben ein Foto gemacht und er meinte „Echt
cool, dass du so offen bist und kein Blatt vor den Mund nimmst obwohl
du diese Einschränkung hast“. Und ich finde es auch echt klasse,
wie locker er das Thema nimmt.
Als Chris Tall in der ausverkauften
Seidenstickerhalle war, kam er auch zu dir ins Publikum und hat dir
Fragen gestellt. Da waren schon etwas mehr Menschen als in ein
Restaurant passen. Hat dich das Überwindung gekostet?
Schlimm war nur,
aber ich glaube das kennt jeder: man hört seine eigene Stimme durch
einen Lautsprecher (lacht). Aber mal im Ernst, eigentlich kann da
jeder drüber sprechen. Ich habe jetzt keine unglaublich tragische
Geschichte, die darf ruhig jeder wissen. Ich war angespannt und
aufgeregt, aber in dem Moment ist es auch echt lustig. Viele finden
seine Witze auch zu heftig, aber ich glaube die verstehen nicht, was
er ausdrücken will.
Hast du im Alltag oder bei solchen
Events auch Vorteile durch deine Behinderung?
Enorm. Das fängt
im Freizeitpark an, wo ich durch den Ausgang reingehen darf. Im Kino
zahlt die Begleitung nichts. Außenstehende denken sich sicher, ich
nutze das aus. Aber wenn man eine Einschränkung hat, dann kostet die
schon so genug. Solche Sachen bringen einem einfach Freude. Die
Behindertentoiletten waren nunmal neben der Garderobe von Chris Tall.
Und dem fällt ein Rollstuhlfahrer natürlich auch mehr ins Auge als
irgendjemand in der zehnten Reihe.
Ärgerst du dich oft darüber, dass
es an Barrierefreiheit noch mangelt?
Gar nicht mehr so
häufig. Ich bin einer von den Mobileren, eine Rolltreppe oder zwei
Treppenstufen machen mir nichts aus. Aber manchmal muss man schon
Umwege machen oder zum Beispiel ganze Teile in Museen auslassen. Das
sind Sachen, die nerven aber da muss man sich einfach mit abfinden.
Aber in vielen Städten gibt es noch deutliche Einschränkungen. Es
gibt eine Sache, die kann ich hier jetzt mal ganz laut sagen, die
regt mich total auf. Da könnte ich eigentlich ein eigenes Comedy
Programm drüber schreiben! Auf Rollstuhltoiletten gibt es Mülleimer,
die man mit dem Fuß aufmachen muss. Da ist ein Wickeltisch drin und
eine Toilette mit Haltegriff, aber den Mülleimer kriege ich nicht
auf. Das ist dann unverständlich für mich. Aber das sind
Kleinigkeiten im Alltag. Es gibt immer eine Lösung oder einen Weg
drumherum.
Wie findest du es, wie Behinderte
oder körperlich Eingeschränkte in den Medien dargestellt werden?
Ganz oft sieht man
Bilder im Fernsehen oder in Zeitschriften von Projekten wie „Ein
Tag mit dem Rollstuhl durch die Stadt“. Die Idee finde ich mega
cool aber auch schade, dass kein echter Rollifahrer hinzugezogen
wird, der Fragen beantworten könnte. Und außerdem gibt es auch
einen enormen Unterschied zwischen Rollstühlen. Es gibt einmal, wie
ich sie nenne, die AOK Shopper, die im Krankenhaus stehen und sich
schon bei einem km/h verdrehen. Und junge Studenten, die dann damit
durch die Stadt fahren, beschweren sich wie schwer wir es doch
hätten, weil wir damit über kein Kopfsteinpflaster kommen. Das
stimmt aber nicht. Es gibt Rollstühle mit denen jeder den Alltag und
sogar Bordsteinkanten bewältigen kann. Man sollte mit vernünftigen
Rollstühlen arbeiten und es realistischer darstellen. Genau so ein
Thema sind Bilder in Zeitschriften, mit denen Werbung für einen
Rollstuhl gemacht wird und da ein Mensch ohne Einschränkung
reingesetzt wird. Man sieht, wenn ein Usain Bolt in einem Rollstuhl
sitzt, weil ein normaler Rollstuhlfahrer nicht solche Waden hat. Das
spiegelt nicht unbedingt die Realität wieder. Und im Fernsehen
werden häufig Behinderte dargestellt, die es entweder schlimmer als
mich getroffen hat oder auch welche, die ein paar Schritte gehen
können. Und da muss man sagen, dass diese paar Schritte eine enorme
Erleichterung im Alltag wären und ich mich natürlich auch mit den
Leuten vergleiche.
Wie wichtig findest du eine
Berichterstattung über Rollstuhlfahrer?
Sehr wichtig. Denn
das ist der erste Schritt um lockerer damit umzugehen. Wenn mich
Leute nach meinen Hobbys fragen, denken die immer gleich ans
Basketball spielen, weil das der einzige Sport ist, der im Rollstuhl
populär ist. Aber dass ich auch Skaten könnte, darauf kommt man
nicht so schnell. Skaten im Rollstuhl ist relativ simpel, ich fahre
Rampen rauf und runter. Leider ist da auch nicht jeder Rollstuhl für
geeignet, die müssen leicht sein und Federungen eingebaut haben,
damit der Rücken geschont wird. Das kostet auch ein Heidengeld. Aber
es ist wichtig in den Medien zu zeigen, wie viel man eigentlich kann.
Der Skatepark ist nicht nur für BMX Räder und Inliner. Der
Rollstuhl hat dort auch Platz.
Wie bist du aufs Skaten im Rollstuhl
gekommen?
Tatsächlich durch
Videos von Aaron Fotheringham, der 100 m hohe Rampen hochfährt und
einen Salto nach dem anderen macht. Aber das war mir und meiner
Familie natürlich zu gefährlich. Und dann kamen wir auf David
Lebuser, der früher BMX Fahrer war, bevor er in den Rollstuhl
gekommen ist. Der hat sich das selber beigebracht und diesen Sport
nach Deutschland gebracht. Mittlerweile bin ich da auch „Vorturner“
und kann mein Wissen an andere Menschen mit ähnlicher Einschränkung
weitergeben. Das ist schon ein cooles Gefühl im Training zu sehen,
dass man Menschen tatsächlich etwas beibringen kann. Ich bin davor 7
Jahre Rennrollstuhl gefahren und weiß dadurch, wie man schnell im
Rollstuhl vorankommt. Das ist definitiv ein Punkt, der Kindern auch
im Alltag hilft und ihnen die Sicherheit gibt Dinge zu tun, die sie
sich vorher nicht getraut haben.
Hat dich das Skaten am Anfang viel
Überwindung gekostet?
Es gibt da den Drop
beim Skaten, wo man von einer Halfpipe oder Quarterpipe runterfährt
und für einen Moment auch fällt. Das war vielleicht nur eine Rampe
von 1,20 Meter Höhe. Aber trotzdem steht man dann da oben, guckt
runter und denkt sich „Eben hat einer das probiert, der liegt jetzt
im Krankenhaus“. Aber toi toi toi, bisher ist mir noch nichts
passiert. Es ist jedes Mal wieder eine Überwindung, vor allem wenn
man dann eine Woche nicht geskatet ist. Aber die Übung kommt schnell
wieder.
Wie viel Zeit investiert man
eigentlich um für sich den richtigen Rollstuhl zu finden?
Man muss dazu
sagen, dass es Rollstühle auf dem Markt gibt wie Sand am Meer, aber
selten passende. In meinem Fall ist es eine Spezialanfertigung, die
auf mich abgestimmt ist. Da höre ich auch viel Empfehlungen von
Leuten wie David Lebuser und lasse mir den Sitz einstellen,
konfigurieren und speziell auf mich anpassen. Es ist zwar schade aber
verständlich, dass man sich nicht einfach einen Rollstuhl im
Internet bestellen kann und den dann wieder zurückschickt um etwas
ändern zu lassen. Das würde nicht funktionieren. Man überlegt sich
im Voraus, was für Sitze man für seinen Rücken haben sollte und
welche Räder man möchte. Da gibt es schon viele Faktoren, die es
aufwändig machen. Ich habe leider keinen speziellen Rollstuhl zum
Skaten mit der passenden Federung. Das habe ich dann auch nach zwei
Tagen Skaten am Stück gemerkt, wie es auf die Wirbelsäule ging. Da
war ich dann 5 cm kleiner. Da sind die speziellen Rollstühle einfach
geiler.
Wie personalisiert man sich seinen
Rollstuhl?
Wenn die erste
Macke drin ist, dann ist es deiner. Das ist wie beim Handy, das
runterfällt. Man ärgert sich und guckt ständig hin aber der Riss
ist genau so, das ist meiner. Man sieht auch ob ein Rollstuhl zu
einem passt oder nicht. Mein Rollstuhl ist wie mein Schuh.
Wenn du aus deinem Rollstuhl
rauswächst, was macht man dann mit dem?
Das kommt auf die
Krankenkasse an. Einige möchten ihn zurück haben aber was danach
mit denen passiert ist ziemlich doof, nämlich gar nichts. Die werden
nicht mehr genutzt. Manchmal darf man ihn auch behalten. Dann hat man
einen für drinnen und für draußen, was ganz praktisch ist.
Findest du dich von deiner
Krankenkasse gut unterstützt?
Ganz dünnes Eis.
Man unterschätzt das natürlich. Das ist Meckern auf hohem Niveau.
Ich brauche Medikamente. Ich habe immer einen Rollstuhl, der mir zu
100 Prozent passt. Unglaublich, dass eine Krankenkasse das alles
übernimmt. Aber darüber hinaus ist es ganz schwer, Sportrollstühle
finanziert zu bekommen. Ich habe ein Handbike, das ähnlich wie ein
Fahrrad funktioniert. Aber es kostet sehr viel mehr als ein
herkömmliches Fahrrad. Das sollte eine Krankenkasse normalerweise
übernehmen, weil es ein Gegenstand ist, den ein Jugendlicher haben
sollte und der zur Entwicklung beiträgt und mobiler macht. Leider
übernimmt sie das nicht. Aber was meine Krankenkasse an Ausgaben für
mich hat, ist schon einiges. Trotzdem würde man sich über einen
Zuschuss freuen, wenn es in naher Zukunft um ein Auto ginge. Das wird
aber bestimmt nicht passieren.
Wie kann ein Rollstuhlfahrer Auto
fahren?
Das ist tatsächlich
eine Frage, die mir oft gestellt wird. Man kann sogar ohne Arme und
ohne Beine Auto fahren. Für mich wäre Handgas hilfreich, wo ich mit
einem Hebel im Automatikauto Gas und Bremse mit der Hand steuern
kann. Das kann man in jedes Automatikauto einbauen. Dann geht es
weiter: Wie bekommt man seinen Rollstuhl alleine ins Auto? Das ist
auch für mich eine spannende Frage und ein aktuelles Problem, weil
Starrrahm zu schwer zu heben ist. Wir werden uns bemühen bis dahin
einen Faltrollstuhl für mich zu finden, den man auf die Rückbank
schmeißen kann. Ich hätte ungern einen Umbau am Auto, durch den mir
mit Greifarmen der Rollstuhl weggenommen wird. Diese Roboterarme gibt
es zwar, aber sie sind schweineteuer und ich bin noch mobil genug und
möchte es ausprobieren.
Muss man seinen Alltag im Vorraus
planen?
Ich war jetzt mit
meiner Klasse in London und habe schon von anderen gehört, dass die
Ubahn doof sein soll. Aber keiner hat mir gesagt, wo ich eine
Behindertentoilette finde oder dass die verschlossen ist und der
Schlüssel in einem geschlossenen Kiosk hängt. Das war ein
Riesenproblem, wo ich mich vorher hätte erkundigen müssen.
Toiletten finden ist ein ganz großes Thema. Im Internet gibt es zum
Glück auch einige Seiten, die dir zum Beispiel auch
Behindertenparkplätze zeigen, weil man sonst Stunden in der
Weltgeschichte rumfahren würde. Aber in einer Stadt die man kennt
ist Vorbereitung nicht unbedingt von Nöten. Sobald ich in einer
fremden Stadt bin, erwische ich mich auch dabei nach Toiletten zu
gucken oder mir zu merken, wo schwieriges Kopfsteinpflaster ist. An
sich sind Städte schon sehr rollstuhlgerecht geworden.
Kommt es oft vor, dass du dich über
Leute ärgerst, die ohne Ausweis auf einem Behindertenparkplatz
geparkt haben?
Ja. Es ärgert
einen immer wieder, wenn der Platz zugeparkt ist und die Leute
wiederkommen und sagen, sie wären nur ganz kurz irgendwo gewesen.
Super, zu der Zeit wollte ich dort parken und ich habe das Recht
dazu, dort zu parken. Es wird zu selten von der Polizei kontrolliert.
Da könnte sich der Staat eine goldene Nase dran verdienen.
Konfrontierst du die Leute dann?
Wenn ich mit dem
Bus unterwegs bin, sage ich nichts. Aber wenn ich mit Freunden
unterwegs bin und die dann einen Spruch ablassen, lache ich darüber
und meistens dreht sich die Person auch um und überlegt, ob sie was
falsch gemacht haben. Ganz lustig ist, wenn man in der Nähe eines
Rollstuhlparkplatzes steht und jemand ohne Schein Anstalten macht zu
parken und man ihm am Gesicht ablesen kann „Oh da drehe ich besser
um“. Aber da kann ich auch nur drüber schmunzeln und hoffen, dass
langsam das Verständnis aufkommt, wozu diese Plätze gebraucht
werden. Nämlich um mit Rollstuhl in ein Auto zu kommen, weil man auf
einem normalen Parkplatz nicht genug Platz dafür hat.
Wenn du mit den Medien über deine
Behinderung redest, siehst du dich mittlerweile als Sprecher für
viele?
Das ist ganz
schwer. Ich bin immer auf der Suche nach Leuten, die ähnlich
betroffen sind wie ich und für die kann ich dann sprechen. Ich würde
sagen, dass ich sehr locker bin und viele Witze über mich ergehen
lasse und auch selbst machen kann. Das sind einige nicht. Aber ich
kann schon für viele sprechen, wenn ich sage, dass man offen über
dieses Thema sprechen kann, dass man gerne Hilfe anbieten kann, aber
auch nicht entäuscht sein soll, wenn derjenige dankend ablehnt.
Sind Rollstuhlfahrer untereinander
solidarisch? Nickt ihr euch manchmal zu obwohl ihr euch nicht kennt?
Man kennt die
Person nicht, aber man achtet aufeinander und auf den Rollstuhl des
Anderen. Gerade wenn man wie ich in der Phase zwischen Teenager und
Erwachsener ist, achtet man mehr darauf, was andere Rollstuhlfahrer
aus ihrem Leben machen. Und da erwische ich mich schon, wie ich sie
heimlich anstarre. Ein kurzes Zunicken und Lächeln, das kommt dann
tatsächlich. Aber ich bin nicht mit jedem Rollstuhlfahrer verwandt,
das muss ich eigentlich gar nicht sagen (lacht). Manchmal fragt dich
jemand wirklich „Kennst du den da drüben?“ Wenn man in Gruppen
von Rollstuhlfahrern untereinander ist, spricht man dafür ganz
anders. Da ist deine Behinderung eine Selbstverständlichkeit und
braucht keine Erklärung mehr.
Was treibt dich an?
Rollstuhlfahrer
sind ganz normale Menschen. Natürlich haben wir unsere
Besonderheiten und Einschränkungen, die „Fußgänger“ nicht
haben. Mir ist wichtig, dass diese Botschaft nicht von den
Angehörigen kommt, sondern von mir. Das von einem Betroffenen selbst
zu hören hat nochmal eine ganz andere Wertung. Die Leute sollen
sehen, dass ein Rollstuhlfahrer nicht gleich auch geistig
eingeschränkt ist, sondern nur ab Hüfte einfach nicht mehr so viel
Spiel im Leben ist. Ganz seltsam ist für mich, wenn jemand auf meine
Mutter zukommt und von ihr wissen will, was mit mir los ist. Da denk
ich dann „Hallo ich kann auch sprechen!“.
Fühlst du dich in der heutigen
Gesellschaft als Rollstuhlfahrer gut aufgehoben?
Ja, definitiv. Das
fängt schon damit an, dass man als Rollstuhlfahrer auf eine
Regelschule gehen kann. Das ist nicht nur für den Betroffenen gut,
dass er sich unter „normalen“ Menschen entwickeln kann, sondern
auch für die Mitschüler. Als ich aus dem Kindergarten gekommen bin,
wurde meinen Eltern oft gesagt „Danke dass mein Kind mit ihrem
aufwachsen durfte, das hat es zu einem anderen Menschen gemacht“.
Manche davon sind bis heute in meiner Klasse und gehen mit offeneren
Augen durchs Leben, weil sie wissen: Wir Rollstuhlfahrer beißen
nicht und hauen nicht, treten können wir nicht. Wir sind normale
Menschen, als die man uns auch sehen soll. Und wenn ich das erreicht
habe, dann freue ich mich.
Seit 2016 existiert bei Arminia Bielefeld die Abteilung des Rollstuhlsports. Interessenten können sich auf dieser Seite informieren.
Kai findet ihr auch auf Instagram! Unter Kai2020
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